Es kommt nicht oft vor, dass man als Autorin zu einer Lesung in eine forensische Psychiatrie eingeladen wird. Und im ersten Moment hatte ich schon ein mulmiges Gefühl, als meine Lesungsagentin mich fragte, ob ich mir zutraue, mit den dortigen Patienten zwanglos umzugehen. Doch dieses Gefühl hielt nur wenige Sekunden an, dann war meine Antwort ganz klar: Ja, natürlich!

Und warum auch nicht? Weiß ich, was den Menschen, die dort behandelt werden, in ihrem Leben widerfahren ist? Und ob ich nicht vielleicht eines Tages auch einmal psychologische Hilfe benötigen könnte? Niemand ist davor gefeit.

Gut, es mag sein, dass gerade die forensische Psychiatrie in Weißenthurm, die “Klinik Nette-Gut” noch ein bisschen einschüchternder wirkt, denn sie ist die am höchsten gesicherte Maßregelvollzugseinrichtung in Rheinland-Pfalz.

Wer sich mit den Fachausdrücken nicht auskennt – auf der Homepage der Klinik heißt es:

“Die Behandlung in der Klinik Nette-Gut dient der Besserung und Sicherung der Patienten auf der Grundlage des Maßregelvollzugsgesetzes des Landes Rheinland-Pfalz. Alle Therapiemaßnahmen sind darauf ausgerichtet, die Resozialisierung der Patienten mit der größtmöglichen Sicherheit für die Bevölkerung zu verbinden.”

In einfacheren Worten:

Dort werden “psychisch kranke Straftäter auf gerichtliche Einweisung hin aufgenommen und behandelt. Neben Psychosen aus dem schizophrenen Formankreis werden Sexualstraftäter und persönlichkeitsgestörte Patienten behandelt.”

Wer Interesse hat, findet hier ein kurzes Video über die Klinik Nette-Gut: http://www.klinik-nette-gut.de/ueber-uns/videocenter.html

Gänsehaut bekommen? Dazu besteht eigentlich kein Anlass, und mir war auch von Anfang an klar, dass man mich nur dorthin eingeladen hat, weil meine Sicherheit dort zu keiner Zeit in der geringsten Gefahr war.

Gestern (25.10.2011) war es dann soweit:

Ich traf auf dem ca. 200 Meter entfernten Besucherparkplatz ein, der ziemlich groß und sehr gut belegt war. Auf dem Weg zur Pforte begegnete ich mehreren anderen (kommenden wie gehenden) Besuchern.
Vor der verglasten Pforte musste ich kurz warten, bis man mir die Tür öffnete, dann betrat ich eine Art Schleuse, ebenfalls voll verglast. Dort musste ich der freundlichen Empfangsdame zunächst einmal meinen Personalausweis (der natürlich gültig sein muss!) abgeben, wurde digital fotografiert und erhielt dann einen Besucherausweis zum anklipsen. Handys sind in der Klinik verboten. Man kann sie an der Pforte hinterlegen oder – wie ich es getan habe – gleich im Auto lassen.

So weit, so gut. Inzwischen war auch Frau Fachinger eingetroffen, die mich verabredungsgemäß in Empfang nehmen sollte.

Doch zunächst musste ich durch eine weitere Schleuse, in der mein mitgebrachter Bücherkarton sowie meine Kiste mit den Requisiten für die Lesung durchleuchtet wurden, und zwar mit einem Gerät, dass man auch von z. B. Flughäfen kennt. Ich selbst musste ebenfalls durch einen Metalldetektor gehen und dann durch eine weitere Tür den Pfortenbereich wieder verlassen.

Frau Fachinger führte mich dann in ein nahegelegenes Gebäude und dort in einen fensterlosen Konferenzraum, in dem die Lesung stattfinden sollte.

Wie immer baute ich meine Requisiten und auch einen kleinen Büchertisch auf, legte meinen Lesetext zurecht, erhielt ein Glas Wasser. Dann hieß es auf die Zuhörer warten.

Hier muss ich sagen, dass die Uhrzeit (14 Uhr) für die Veranstaltung leider nicht sehr gut gewählt war, was Frau Fachinger auch bestätigte. Denn zu dieser Zeit hatte das Pflegepersonal gerade Übergabe und auch die meisten Patienten haben erst etwa ab 16 Uhr Freizeit.

Das führte denn auch dazu, dass ich am Ende nur sieben Zuhörer hatte, bis auf Frau Fachinger waren es alles Männer. Letzteres ist eigentlich eher ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass das Mann-Frau-Verhältnis auf öffentlichen Lesungen meist genau umgekehrt ist.

Ich sollte aus Die Stadt der Heiligen lesen, dem ersten Teil meiner historischen Aachen-Trilogie, und was der ganzen Situation sicherlich hilfreich war, ist der Umstand, dass es eine richtige Pilgerlesung war. Das bedeutet, dass ich im historischen Pilgerkostüm erschienen war und auch noch ein paar authentische Requisiten mitgebracht hatte, wie z. B. das typische Achhorn.
Mit diesem begrüßten die mittelalterlichen Pilger (um die es ja in dem Roman geht), während der Zeigung der Heiligtümer vom Aachener Dom herab mit lautem Schall die Reliquien. Auch eine tönerne Trinkflasche und eine lederne Tasche mit Ess-Schale, Trinkbecher, Löffel, Zunder, Feuerstein und Feuereisen hatte ich dabei.

Ich begann meine Lesung wie immer mit einer kleinen Vorstellung meiner Person und meiner Arbeit sowie ein paar historischen Details zu meinen Romanen und den mitgebrachten Requisiten, dann begann ich zu lesen.
Ich merkte, wie allmählich das Eis zu bröckeln begann und die Stimmung immer lockerer und freundlicher wurde, meine Zuhörer gaben sich immer interessierter und stellten schließlich sogar von sich aus ein paar Fragen.

Schließlich durfte ich noch ein paar Bücher signieren und ließ auch gleich je ein Buch meiner Aachen-Trilogie sowie ein Exemplar meines neuen Weihnachtsromans Eine Weihnachtshund für alle Fälle (aus dem ich auch eine kleine Kostprobe gegeben hatte) für die Bücherei der Klinik da. Darüber freuten sich alle Anwesenden natürlich ganz besonders.

Nach knapp zwei Stunden, die allen Anwesenden nach ihren Aussagen wie im Flug vergangen waren, begleitete mich Frau Fachinger wieder zurück zur Pforte, wo ich nun beide Schleusen in entgegengesetzter Richtung durchschritt, meinen Ausweis zurückerhielt. Wenig später fand ich mich auch schon auf dem Besucherparkplatz wieder.

Die offene und sehr freundliche Stimmung hat mich sehr beeindruckt und ich halte diese Veranstaltung, obwohl sich wegen der ungünstigen Zeit so wenig besucht war, für außerordentlich gelungen. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann einmal die Gelegenheit zu einer Wiederholung, dann aber möglichst etwas später am Nachmittag, damit mehr Patienten und auch Betreuer die Möglichkeit erhalten, an der Lesung teilzunehmen.





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