Du meine Güte, was seid ihr geduldig! Vor lauter Jubiläumsaktion habe ich im Juli glatt verschwitzt, euch einen neuen Textschnipsel aus Die Bastardtochter zu präsentieren! Das geht ja überhaupt nicht. Ich hatte euch doch jeden Monat einen versprochen. Dafür bekommt ihr jetzt einen extra langen Abschnitt zu lesen, der sich fast nahtlos (nicht ganz) an den vorherigen (Textschnipsel Nr. 5) anschließt. Und jetzt ist er natürlich auch schon lektoriert, wenn auch noch nicht abschließend korrigiert. Dies ist die Version VOR der Fahnenkorrektur.

Hier ist er, der sechste Textschnipsel. Ich wünsche spannende Unterhaltung!

Ein erbitterter Kampf entbrannte zwischen ihnen, während sich ringsum seine Wachleute gegen die deutliche Überzahl an Räubern zur Wehr zu setzen versuchten. Mindestens zehn oder zwölf Mann waren über das Lager hergefallen. Sie schrien einander raue, triumphierende Worte zu in einem Dialekt, den Anton kaum verstand, der ihm aber die Haare zu Berge stehen ließ.
Endlich hatte er es geschafft, seinen Gegner zurückzudrängen. Mit einem gezielten Hieb entwaffnete er ihn und stach zu, wie er es einst Graf Johann auf dem Turnierfeld abgeschaut hatte. Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter, als sein Schwert den Körper des Räubers durchbohrte. Zum Nachdenken blieb ihm allerdings keine Zeit. Hinter sich hörte er Fiorina schreien. Er fuhr herum und konnte im anbrechenden Morgendämmerlicht einen bärtigen Hünen erkennen, der sie an den Haaren mit sich zog.
»Diavolo rosso!«, brüllte er über das Getöse des Kampfes hinweg und sah ihn direkt an. Und dann fügte er noch etwas hinzu, was wie »Pferdedieb« und »Rache« klang. Fiorina zappelte panisch, doch gegen den Griff des Riesen kam sie nicht an.
Anton wollte zu ihr eilen, aber ein weiterer Angreifer stellte sich ihm in den Weg, schwang mit enormer Kraft eine Streitaxt, der Anton nur knapp ausweichen konnte. Verbissen versuchte er, den Mann zurückzudrängen, sich zu seiner Frau vorzukämpfen. Er hörte sie hysterisch seinen Namen schreien.
»Diavolo rosso!«, brüllte der Hüne erneut.
Als Anton sich in seine Richtung drehte, musste er mit ansehen, wie der riesige Kerl einen Dolch zog, ihn feist angrinste und scharfe Klinge mit einer raschen Bewegung einmal quer über Fiorinas Kehle zog. Blut spritzte. Ihr Schreien verstummte, sie sackte in sich zusammen. Der Mörder ließ sie achtlos zu Boden fallen und spuckte aus. Dann ließ er einen Schwall unverständlicher Worte folgen.
Anton schrie auf, drosch auf seinen Gegner ein, der nach wie vor den Weg verstellte. Plötzlich sauste wie aus dem Nichts eine weitere Streitaxt an ihm vorbei und traf den Hünen mitten in die Brust. Er taumelte und stürzte um wie ein gefällter Baum.
Anton erkannte Wulfhard de Berge, der mit einigen Bewaffneten das Lager gestürmt hatte und bereits dabei war, einem weiteren Räuber den Garaus zu machen. »Achtung, hinter Euch!«, brüllte Anton, als er sah, dass sich einer der Räuber von hinten auf de Berge stürzen wollte.
Anton fühlte im Augenblick nichts außer eiskaltem Zorn, die ihn beim Anblick der zusammengebrochenen Fiorina ergriffen hatte. Er hieb wütend und immer wütender auf seinen Gegner ein, merkte kaum, dass er ihn schließlich niedergerungen und getötet hatte. Alles in ihm verlangte danach, zu seiner Gemahlin zu laufen, doch erst musste dieses Gesindel besiegt werden.
Wild blickte er sich um und sah, dass de Berge jetzt gegen zwei Angreifer kämpfte. Gleichzeitig bemerkte er, dass sich drei der Räuber aus dem Staub machten. Bosco und zwei seiner Männer setzten ihnen nach.
Anton eilte de Berge zur Hilfe, der mittlerweile entwaffnet war und sich nur mit einem brennenden Kienspan zu verteidigen versuchte. Wutschreie ausstoßend streckte Anton den einen der beiden Angreifer nieder, den anderen trieb er von de Berge fort, wild entschlossen, auch dessen Leben zu beenden. Die gnadenlose Mordlust in seinem Blick schien den Kerl zu entsetzen, denn er machte plötzlich kehrt und rannte, was das Zeug hielt.
Zunächst wollte Anton ihm folgen, doch dann drängte es ihn zu Fiorina. Er wusste, dass sie tot war. Ermordet von dem namenlosen Hünen, dessen Pferd ihm damals die Flucht vor dem Überfall der Bande ermöglicht hatte. Das Pferd war wie die anderen Reittiere etwas abseits vom Lager angebunden. Das Kampfgetümmel hatte die Tiere beunruhigt; sie tänzelten und wieherten.
Bei seiner Frau fiel Anton auf die Knie. Ihr Körper war blutüberströmt, die Augen hatte sie im Angesicht des Todes weit aufgerissen. Ihm fehlten die Worte, um auszudrücken, was er in diesem Moment empfand. Stumm zog er den toten Leib an sich, strich ihr die Haare aus der Stirn, schloss ihr sanft die Augen. Fassungslos blickte er zum heller werdenden Himmel empor. Im Osten färbte sich der Horizont bereits rötlich.
Als Wulfhard de Berge auf ihn zutrat, reagierte er zunächst nicht. Erst als der Mann ihn in holprigem Deutsch ansprach, richtete er seinen Blick auf ihn.
»Mein Beileid. Eure Gemahlin?«
»Er hat sie wegen eines Pferdes getötet.« Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren merkwürdig rau und fern. »Wegen eines Pferdes!«
»Was meint Ihr?« Verwundert kam de Berge noch näher und kniete sich neben ihn.
»Vor einigen Wochen bin ich diesem Räubergesindel schon einmal begegnet. Weit fort von hier. Sie haben eine Taverne bei Treviglio ausgeraubt. Ich kam gerade so mit dem Leben davon … und mit dem Rappen dieses …« Angewidert wies er auf den gefällten Hünen. »Er muss mir gefolgt sein, mich irgendwie aufgespürt haben.« Anton schluckte. »Wegen eines Pferdes.«
»Was hat … Riese … dauernd gebrüllt?«
»Diavolo rosso. Roter Teufel. Wahrscheinlich wegen meiner Haarfarbe.«
»Ihr seid Kaufmann … von wo? Mailand? Venedig?«
»Mailand. Ich habe bis vor kurzem in Mailand gelebt. Wir waren auf dem Weg zurück in meine Heimat am Rhein.«
»Koblenz, ich … erinnere.« De Berge nickte mitfühlend. Dann fiel er ins Italienische, das ihm offenbar leichter über die Lippen kam. »Es dürfte für die Kerle nicht schwierig gewesen sein, Eure Spur aufzunehmen. Ein Kaufmann mit so auffällig rotem Haar ist in diesen Landen die große Ausnahme. Es tut mir leid.« Ratlos blickte er auf die Leiche Fiorinas. »Nun kehrt Ihr wohl um?«
»Nein.« Sanft ließ Anton den Körper Fiorinas zu Boden gleiten. »Nein, ich kehre nach Hause zurück. Nach Koblenz am Rhein. Fiorina hatte in Mailand keine Familie mehr und ich … will zu meiner zurück.« Noch immer fühlte er nichts als Eiseskälte in seinen Gliedern. »Wir müssen einen Priester holen und sie christlich beerdigen lassen. Und meine Männer …« Suchend schaute er sich um. Zwei seiner Wachmänner standen in respektvollem Abstand da und warteten auf Anweisungen. Die anderen waren noch immer fort, auf der Jagd nach den flüchtigen Räubern.
»Don Antonio! Seid Ihr da?«
Das leise, ängstliche Stimmchen ließ Anton zusammenzucken. Er sprang auf die Füße. »Palmiro? Wo steckst du, Junge?« Suchend sah er sich um. Auch in seine Männer kam Leben, einer von ihnen fand den Kleinen schließlich hinter einem der Wagen, halb unter einer Decke versteckt.
Mit großen Schritten rannte Anton auf den Jungen zu, fiel neben ihm auf die Knie, zog die Decke fort. »Allmächtiger!«
Palmiros Körper war über und über mit Blut besudelt. Er hatte eine große Schramme am Kopf und schien auch aus einer Wunde am linken Arm und aus dem Unterleib zu bluten. Der Junge atmete flach und litt offensichtlich große Schmerzen. »Don Antonio, ich konnte nichts machen. Er hat Monna Fiorina einfach mitgeschleppt.« Tränen rannen über das schmutzige Gesicht des Jungen. »Sie ist tot?«
Anton schluckte hart. »Ja, Palmiro.«
»Verzeiht mir, Don Antonio. Ich wollte helfen, aber ich konnte nicht. Und dann …«
»Schsch, ruhig. Sprich nicht so viel.« Fahrig riss Anton das Hemd des Jungen auseinander und untersuchte die Wunden, die vermutlich ebenfalls vom Dolch des Hünen stammten. Palmiro schien sich tapfer gewehrt zu haben. Tief schienen die Einstiche und Schnitte nicht zu sein, aber sie bluteten stark.
»Hier ist etwas Tuch und Verbandmaterial.« Einer der beiden Wachmänner, Naldo, war herbeigekommen und legte den Verbandsstoff neben dem Jungen ab. »Ich hol noch frisches Wasser.«
»Don Antonio, muss ich jetzt auch sterben? Es tut so weh.«
Mit aufsteigender Verzweiflung blickte Anton auf den Jungen hinab. »Nein, Palmiro. Ich glaube nicht, dass du stirbst. Wir kümmern uns um deine Wunden, aber es wird noch eine ganze Weile wehtun. Und reisen kannst du so auch nicht.«
»Lasst mich zurück, Don Antonio. Ihr wolltet sowieso nicht, dass ich mit Euch komme. Und jetzt bin ich schuld, dass Monna Fiorina tot ist.« Die Tränen rannen noch hefiger. Palmiro drehte den Kopf zur Seite. »Ich sollte sterben. Hab’s nicht besser verdient.«
»Red nicht solchen Unsinn.« In Anton regte sich erneut Zorn und gleichzeitig noch etwas anderes. Eine unbegreifliche Zuneigung zu dem kleinen Straßenjungen. »Dich trifft keine Schuld an Monna Fiorinas Tod. Du hast versucht, sie in Sicherheit zu bringen.«
»Ja, aber …«
»Du hast sie tapfer verteidigt.«
»Ja, aber …«
»Ich werde dich auf gar keinen Fall hier zurücklassen, Palmiro.«
»Aber …«
»Ich habe Monna Fiorina versprochen, mich um dich zu kümmern, erinnerst du dich? Du hast gelauscht, als sie mit mir gesprochen hat, oder etwa nicht?«
In Palmiros blasses Gesicht stieg ein Anflug von Farbe.
Anton nickte ihm ernst zu. »Du bleibst bei mir, so wahr mir Gott helfe.« Er hörte, wie de Berge sich erneut näherte undin ein paar Schritt Entfernung stehen blieb.
»Euer Sohn?«
Anton griff nach dem Wassereimer, den Bodo neben ihm abgestellt hatte, und einem der Tücher. Schon wollte er verneinen, doch ein weiterer Blick auf den blassen, weinenden Jungen ließ ihn zögern. Schließlich nickte er und blickte zu de Berge auf. »Mein Ziehsohn.«

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Koblenz, 1362. Die schöne Enneleyn lebt mit einem Makel: Sie ist unehelich geboren. Zwar hat Graf von Manten sie als Tochter anerkannt, die gesellschaftliche Akzeptanz bleibt ihr jedoch verwehrt. Als Ritter Guntram von Eggern um ihre Hand anhält, zögert sie deshalb nicht lange. Schon bald stellt sich heraus: sie hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Nach außen ganz liebevoller Gatte, verbirgt Guntram geschickt seine dunklen Seiten. Nur Ennelyn weiß um seine Brutalität und Machtgier. Nur sie weiß um seinen großen Plan … Nach «Eifelgräfin» und «Gewürzhändlerin» nun Teil drei der beliebten Reihe.

Buchvorschautext und Cover, Quelle: www.rowohlt.de

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Die Bastardtochter
Historischer Roman
Petra Schier

Rowohlt-Taschenbuch
ca. 480 Seiten (vermutlich eher mehr!)
ISBN 978-3-499268-01-4
9.99 Euro

Alle Informationen zum Buch gibt es auf meiner HOMEPAGE.

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