Heute ist mein Geburtstag. :-)

Normalerweise kriegt man ja an solchen Jubeltagen etwas geschenkt. Ich mache es diesmal umgekehrt und schenke euch etwas. Nämlich einen extra langen Textschnipsel aus dem Manuskript zu Körbchen mit Meerblick. Nachdem ihr in den beiden vorangegangenen Textschnipseln bereits Melanie und Alexander einzeln kennengelernt habt, folgt nun logischerweise ihr erstes Aufeinandertreffen – oder zumindest ein Teil davon.

Wie immer bitte ich Tippfehler und stilistische Unebenheiten zu entschuldigen. Der Text ist nach wie vor unlektoriert. Wer Fehler, Wortdoppelungen oder sonstige Auffälligkeiten entdeckt, darf sie gerne behalten.

Viel Vergnügen mit diesem Ausschnitt aus dem 3. Kapitel!

Sie ließ sich auf dem bequemen Ledersessel nieder und beobachtete, wie der Anwalt um den Schreibtisch herumging und sich auf seinem Platz niederließ. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er für einen Anwalt vergleichsweise salopp gekleidet war. Eng sitzende, leicht verwaschene Blue Jeans, die seine schmalen Hüften und die kräftigen Beine hervorragend zur Geltung brachten. Dazu ein schlichtes weißes Hemd, dessen oberste zwei Knöpfe geöffnet waren, und ein graues, offenbar maßgeschneidertes Jackett. Dennoch wirkte er nicht fehl am Platz, sondern, im Gegenteil, ganz in seinem Element.
Das Büro war mit schlichten, zweckmäßigen Möbeln eingerichtet, die sich aber dem Stil des alten Hauses unterordneten und ihn gleichzeitig unterstrichen. Dunkles Holz kontrastierte mit cremefarbenen Wänden und einigen Kunstdrucken mit maritimen Motiven. Alles wirkte sehr ruhig, geschäftsmäßig und männlich. Selbst die beiden langblättrigen Grünpflanzen neben dem Fenster untermauerten diese Atmosphäre noch, anstatt sie aufzuweichen.
»Auch ich möchte Ihnen mein Beileid zu Ihrem Verlust aussprechen.« Messner griff nach einem Stapel Papiere, der bereits für den Termin bereitlag, und blätterte nachlässig darin, jedoch ohne hinzusehen.
Elvira betrat den Raum und stellte zwei Tassen Kaffee, Milch und Zucker auf den Tisch.
»Danke.« Messner nickte ihr freundlich zu und wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, bevor er weitersprach. »Soweit ich die Angelegenheit überblicke, sind Sie hier, um in Erfahrung zu bringen, ob Ihre Großtante vor ihrem Tod meschugge gewesen ist, nicht wahr?«
»Wie bitte?« Verblüfft über die drastische Wortwahl richtete Melanie sich auf.
»Und Sie möchten herausfinden, ob die Bestimmungen des Testaments anfechtbar sind.«
»Ich … Nun  ja.« Sie hob die Schultern leicht an. »Ich habe mich gefragt, warum Tante Sybilla mich zur Haupterbin einsetzt und dann solche unmöglichen Bedingungen daran knüpft.«
»Ob sie unmöglich sind, ist Ermessenssache, würde ich sagen.«
»Nach meinem Ermessen sind sie unmöglich.« Melanie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie konnte sie glauben, dass ich jemals darauf eingehen würde? Ich führe mein Leben in Köln, habe einen Beruf, eine gute Arbeitsstelle. Mein Lebensmittelpunkt ist dort. Was in aller Welt soll ich mit ihrem Haus und vor allen Dingen dem Geschäft?«
»Sie meinen hier am Ende der Welt?« Er blickte sie wieder so intensiv an, dass ihr Puls leicht aus dem Takt geriet und sie den Eindruck hatte, er könne ihre Gedanken lesen.
»Das auch. Verzeihen Sie, aber das alles ist mir einfach unverständlich. Sybilla kann unmöglich erwartet haben, dass ich alles stehen und liegen lasse und hierher ziehe, nur um ihr Erbe anzutreten. Ich kann schließlich nicht einfach ein Jahr lang mein Leben auf Pause schalten.«
»Ich glaube auch nicht, dass sie das im Sinn hatte. Vielmehr wollte sie Ihnen wohl ermöglichen, sich innerhalb des Jahres, das sie als Frist gesetzt hat, mit dem Ort und dem Geschäft auseinanderzusetzen und es hinterher dauerhaft zu übernehmen.«
»Was aber nicht geschehen wird.«
»Nein?«
»Selbstverständlich nicht. Ich kann nicht einfach …«
»Alle Brücken hinter sich abbrechen? Das ist natürlich verständlich. Sicher haben Sie Familie und Freunde in Köln.«
Melanie biss sich auf die Zunge, um nicht voreilig zu antworten. Der springende Punkt war, dass sie keine nennenswerte Familie besaß, weder in Köln noch anderswo. Und Freunde? Gute Bekannte und Arbeitskollegen, das ja. Auf Freundschaften hatte sie nie viel Wert gelegt. In ihrer Kindheit und Jugend war sie mit ihrer Mutter zu oft von Ort zu Ort gezogen, um dauerhafte Freundschaften pflegen zu können, und inzwischen war sie so sehr daran gewöhnt, mit sich allein zu sein, dass sie gar keine Anstalten mehr machte, näher mit Menschen bekannt zu werden. Das, was sie mit Edith verband, kam einer Freundschaft vermutlich am nächsten, obwohl sie sich nie außerhalb der Arbeit trafen und Zeit miteinander verbrachten. Doch das war ganz allein ihre Sache und ging den Anwalt nichts an.
Fakt war nur leider, dass ihre Lebenssituation im Grunde jedes Argument gegen einen Ortswechsel entkräftete. Oder fast jedes. Immerhin hatte sie sich ihren derzeitigen Arbeitsplatz mühsam erkämpft und war nicht gewillt, ihn so einfach aufzugeben. Ihre Stellung bei Brungsdahl vereinte alles, was sie liebte und brauchte: Zahlen, Fakten, geschäftsmäßiger und zivilisierter Umgang mit Menschen. Mehr wollte sie nicht. Alles andere überforderte sie. Wenn sie ehrlich mit sich war, wusste sie, dass sie nicht gut in zwischenmenschlichen Beziehungen war. Sie hatte ihr Bedürfnis danach irgendwo auf dem Weg zum Erwachsenendasein aufgegeben. Menschen waren unberechenbar, unzuverlässig, emotional. Damit konnte sie nichts anfangen. Sie stand ja schon der Flatterhaftigkeit und den Flausen ihrer Mutter meist hilflos gegenüber. Diese hatte sich kaum jemals die Mühe gemacht, auf die Befindlichkeiten ihrer Tochter Rücksicht zu nehmen. Materiell hatte es Melanie nie an Zuwendung gefehlt, doch emotional hatte sie früh gelernt, sich auszuklinken, weil das gefühlsmäßige Auf und Ab ihrer Mutter stets mit Instabilität, häufigen Ortswechseln und damit verbundener Unsicherheit gekoppelt war.
Silvana Brenner, oder Brenner-Costales, wie sie derzeit hieß, hatte ihre Tochter nie mit Absicht verletzt oder vernachlässigt. Sie war nur immer derart mit der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse beschäftig gewesen, dass ihr gar nicht aufgefallen war, wie sehr sie ihre Tochter damit belastete. Melanies einzige Fluchtmöglichkeit vor dem Übermaß an Gefühlsausbrüchen, die ihrer Mutter folgten wie ein Bienenschwarm dem Honigtopf, war das Unterdrücken von Emotionen und das Aufbauen von Distanz zu den Menschen, die sie umgaben.
Ehe sich das Schweigen zwischen ihnen ausweiten konnte, änderte Melanie entschlossen den Fokus des Gesprächs. »Welche Möglichkeiten sehen Sie, gegen die testamentarischen Bestimmungen vorzugehen?«
»Ganz offen gesprochen?« Messner faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. »Keine. Ihre Großtante war zum Zeitpunkt der Niederschrift des Testaments bei voller körperlicher und geistiger Gesundheit. Das war sie übrigens bis zu ihrem Todestag. Wie ich Ihnen bereits schrieb, hat sie sogar noch jeden Tag für mehrere Stunden in ihrer Kunsthandlung gearbeitet. Es gibt keinerlei Anlass, ihre Entscheidungen in Frage zu stellen.« Er raschelte mit den Papieren, wieder ohne einen Blick hineinzuwerfen. »Wie Sie meinem Schreiben sicher ebenfalls entnommen haben, gibt es eine weitere Nebenerbin. Frau Deana Holthusen hat seit achtzehn Jahren Ihre Großtante beim Führen des Geschäfts unterstützt. Sie erhält einige Sammlerstücke aus dem Laden sowie die Summe von zwanzigtausend Euro. Details habe ich mit ihr noch nicht besprochen, da sie verständlicherweise im Augenblick nicht in der Lage ist, sich über die Erbschaft Gedanken zu machen.«
»Nicht?«
»Sie trauert, Frau Brenner.«
Melanie spürte eine unangenehme Wärme in ihre Wangen steigen. Verlegen senkte sie den Blick. »Natürlich.« Sie kam sich furchtbar unsensibel vor. »Sie sehen also keine Chance, aus der Sache herauszukommen?«
»Keine, die vor einem deutschen Gericht auch nur die Spur von Gehör finden würde. Wenn Sie mit den Bestimmungen nicht einverstanden sind, bleibt Ihnen lediglich die Möglichkeit, das gesamte Erbe auszuschlagen. Ich empfehle Ihnen aber dringend, diese Entscheidung nicht übers Knie zu fällen. Sehen Sie sich Geschäft und Haus zunächst genau an, werfen Sie einen Blick in die Geschäftsbücher und nicht zuletzt …« Er musterte sie eingehend. »Überlegen Sie sich, warum Ihre Großtante Sie als Erbin eingesetzt hat. Das geschah sicher nicht aus einer Laune heraus. Sie müssen Ihr viel bedeutet haben.«
Und doch war der Kontakt zwanzig Jahre lang vollkommen abgebrochen. »Ich kannte meine Großtante eigentlich kaum. Das letzte Mal, als ich hier zu Besuch gewesen bin, war ich zehn Jahre alt.«
»Ich weiß. Und ziemlich schüchtern. Außer, wenn es darum ging, Sybillas Wattwurmkekse zu erbetteln.«
Erstaunt sah Melanie ihn an. »Woher …?«
»Wir sind uns damals schon das eine oder andere Mal begegnet. Nicht immer zu Ihrem Vergnügen – oder eigentlich müsste ich zu deinem Vergnügen sagen, da wir uns ja schon so lange kennen. Du hast zwei Sommer lang ständig mit meiner Schwester Christina zusammengehangen, als wäret ihr zwei Kletten.«
»Christina?« Melanie schluckte, als die Erinnerung an die Oberfläche spülte. »Christina Messner. Dann sind Sie … ich meine, dann bist du …?«
»Alex. Der böse große Bruder, der die nervigen Mädchen mit Vorliebe getriezt hat.« Er lachte. »Meistens gemeinsam mit meinem Kumpel Lars. Wir waren eine Landplage, nicht nur euch gegenüber.«
Leicht verunsichert musterte Melanie den breitschultrigen, gutaussehenden Mann, der ihr so selbstsicher gegenübersaß. Seine Augen funkelten schalkhaft, und vielleicht war es dieses mutwillige Blitzen, dass das Bild des frechen, halbwüchsigen Jungen vor ihrem inneren Auge aufsteigen ließ. Von dem schlaksigen Fünfzehnjährigen war allerdings nicht mehr allzu viel übriggeblieben. »Das ist ja eine Überraschung.« Die Worte klangen lahm in ihren Ohren, doch wie sollte sie darauf reagieren, dass der nervtötende und für sie als kleines Mädchen manchmal sogar furchteinflößende Junge, der sie abends auf dem Heimweg vom Strand erschreckt hatte, indem er schreiend hinter einem Gebüsch hervorsprang, und der sie und ihre Freundin mit Wasserpistolen gejagt oder sie mit Erbsen aus selbstgebastelten Steinschleudern beschossen hatte, heute nicht nur ein attraktiver und anziehender Mann geworden war, sondern noch dazu ein respektabler Anwalt und Notar und zu allem Überfluss der Nachlassverwalter ihrer Großtante.
Die Erinnerungen an den Jungen, der beständig darauf aus war, sie zu ärgern, ließen sich mit seinem heutigen Auftreten und der charismatischen Aura, die er ausstrahlte, nicht leicht vereinbaren.
»Darf ich dir einen Vorschlag machen?« Wie selbstverständlich blieb er beim vertraulichen Du. »Sieh dir das Geschäft und das Haus in Ruhe an. Ich nehme an, du hast ein Hotelzimmer gebucht, aber wenn du möchtest, kannst du auch im Haus übernachten. Denk über die Möglichkeiten nach, die sich dir hier bieten.«
»Es bieten sich hier keinerlei Möglichkeiten für mich. Zumindest keine, die ich je in Betracht ziehen würde.« Im Augenblick wäre sie am liebsten meilenweit von hier entfernt. Die plötzliche Vertraulichkeit, mit der er sie ansprach, ließ sie die Stacheln hochstellen. Sie war ganz sicher nicht hierhergekommen, um alte Freundschaften – Bekanntschaften, korrigierte sie sich im Geiste – neu aufzuwärmen. Wobei man bei ihnen von Freundschaft nun wahrlich nicht sprechen konnte. Er hatte sie gehänselt und sie war beständig auf der Hut oder sogar auf der Flucht vor ihm und seinem grässlichen Freund gewesen. »Lebt Ihr … dein Freund auch noch in der Stadt?«
»Lars?« Alex trank einen Schluck von seinem Kaffee. Seine Miene hatte sich eine Spur verfinstert. »Nein. Er ist vor Jahren fortgegangen.« Es schien, als wolle er noch etwas hinzufügen, schwieg dann aber doch und Melanie nahm an, dass die ehemals gute Freundschaft der beiden durch irgendeinen Vorfall einen deutlichen Bruch erlitten haben musste. Aber das ging sie absolut nichts an.
Sie räusperte sich verlegen und nahm ebenfalls einen Schluck vom Kaffee. »Ich würde mir das Haus sehr gerne ansehen. Das Geschäft natürlich auch.«
»Wann fährst du wieder zurück nach Köln?«
»Am Sonntag.«
Alex nickte nachdenklich. »Vielleicht solltest du das noch einmal überdenken und dir mehr Zeit für die Entscheidung nehmen. Gib deiner Großtante eine Chance, Melanie. Sie hatte mit dem Testament etwas im Sinn.«

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Über Fragen, Kommentare, Anregungen usw. würde ich mich wie immer sehr freuen.

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Eis, Sandburgen, Wattwanderungen – Melanie verbindet nur die schönsten Erinnerungen mit den Nordseeferien bei ihrer Tante. Trotzdem ist sie überrascht, dass diese ihr nach ihrem Tod ihren gesamten Besitz vermacht. Dazu gehören nicht nur das Haus und die Kunsthandlung, sondern auch der quirlige Welpe Schoki. Nun muss Melanie sich entscheiden: Will sie wirklich ihr vertrautes Leben zurücklassen, um für immer in diesem Küstennest leben? Einen Sommer will sie sich Zeit nehmen, diese Entscheidung zu treffen. Doch dabei haben der gut aussehende Nachlassverwalter Alex und das vierbeinige Temperamentsbündel auch ein Wörtchen mitzureden …

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