Mit Erstaunen stelle ich immer wieder fest, wie schnell doch die Zeit vergeht. Mit meinem Manuskript Der Hexenschöffe liege ich recht gut “im Rennen”. Mittlerweile sind über 200 Seiten im Kasten, also sollte ich das Werk bis Ende April planungsgemäß fertiggestellt haben.

Damit ihr regelmäßig einen kleinen Vorgeschmack auf die Geschichte bekommt, habe ich mir vorgenommen, einmal pro Monat einen kleinen Textschnipsel zu posten, natürlich vollkommen unlektoriert (also seid gnädig, falls sich Fehlerchen oder Wortwiederholungen finden sollten) und ohne Gewähr, dass ihr die Textstelle so oder verändert später auch im Buch finden werdet. Während der Überarbeitung und später während des Lektorats tut sich ja immer noch das eine oder andere. Szenen fliegen raus, kommen hinzu, werden verändert … Da kann man nie wissen.

Im ersten Textschnipsel hatte ich euch eine feucht-fröhliche Szene präsentiert, in der ihr Bartel, den ältesten Sohn meines Protagonisten Hermann Löher, kennenlernen durftet. Heute bekommt ihr dafür ein absolutes Kontrastprogramm geboten.

Bitte sehr:

»Weiter«, befahl der Kommissar.

»Sie hält sich nicht mehr lange auf den Beinen«, wandte Meister Jörg ein.

»Dann lässt sie‘s eben bleiben. Weiter.«

Also wurden Christinas Arme noch weiter und weiter hochgezogen, bis die Gelenke krachten und aus ihren natürlichen Positionen sprangen. Die alte Frau schrie, über ihr Gesicht liefen Tränenströme.

Hermann hätte sich am liebsten die Ohren und Augen zugehalten. Er ertrug es kaum, die frühere gute Freundin so gequält zu sehen. Zaudernd trat er neben Buirmann. »Ist das wirklich notwendig? Wie lange soll sie dass denn aushalten?«

Der Kommissar warf ihm einen verärgerten Seitenblick zu. »Sie braucht doch bloß zu gestehen, dann hat sie es hinter sich.« Er ging zu Christina, deren Beine inzwischen eingeknickt waren, sodass sie schwer in der Kette hing, was den Zug auf ihre ausgekugelten Schultergelenke nur noch verstärkte. »Na, meine Liebe, wie sieht es aus? Bist du nun bereit zu gestehen, dass du eine Zauberin bist und wer deine Komplizen und Mittänzer beim Hexentreffen gewesen sind?«

Mit letzter Kraft hob Christina den Kopf, versuchte vergeblich, auf die Füße zu kommen. »Ich …«

»Ja?« Lauschend reckte Buirmann ihr das Ohr entgegen.

Sie schluchzte, hustete und rang nach Atem. »Ich sage es noch einmal und bleibe dabei, ich bin keine Hexe und kann nicht zaubern.«

»Was?« Das Gesicht des Kommissars lief rot an. »Du weigerst dich noch immer zu gestehen? Meister Jörg!« Mit einer knappen Geste wies er den Henker an, die Alte noch mehr zu strecken.

Meister Jörg räusperte sich vernehmlich. »Herr Doktor, seid Ihr sicher, dass ich das tun soll? Sie hält das, glaube ich, nicht aus. Wenn wir sie noch mehr peinigen …«

»Wird sie endlich den Mund aufmachen und bekennen.« Hektisch ging Buirmann in der Peinkammer hin und her, blieb wieder dicht vor Christina stehen. »Gestehe, du gottlose Erzzauberin! Gestehe endlich, und deine Qualen sind sofort vorbei.«

Christina weinte noch immer und stieß gleichzeitig ein schrilles Stöhnen aus, da ihre Arme inzwischen in einer derart unnatürlichen Haltung hinter ihr hochgezogen waren, dass die Gelenke ihre Funktion vollständig aufgegeben hatten. Ihre Stimme krächzte, als sie erneut zu sprechen versuchte. »Ich kann und kann einfach nicht zaubern. Ich weiß überhaupt nicht, wie man zaubert und habe auch noch nie gehört, wie es getan wird.«

Buirmann stieß einen fauchenden Ton aus. »Wie denn, willst du vielleicht eine Märtyrerin des Teufels werden?« Er beugte sich zu ihr hinab, bis sein Gesicht ganz nah an dem ihren war. »Dann stirb doch endlich, du alte verstockte Hexe!«, schrie er unvermittelt auf sie ein. Angewidert richtete er sich auf und trat einen Schritt zurück. »Weiter!«, befahl er dem Henker, der daraufhin widerstrebend noch mehr an dem Gegengewicht zog, bis Christina beinahe wieder auf den Füßen stand.

Die Gefolterte stieß ein unmenschliches Quietschen aus, das in ein jämmerliches Stöhnen überging. »Nein, nein«, stieß sie mit ersterbender Stimme hervor. »Gott und alle Heiligen sind meine Zeugen.« Zitternd rang sie nach Atem. »Ich will in dieser Marter und Pein als frommer Christenmensch sterben.«

Hermann starrte wie betäubt auf die alte Frau, die wie ein Sack in den Ketten hing. Ein leises Plätschern war zu vernehmen, als ihr das Wasser an den nackten Beinen hinablief und sich in einer Lache auf den Holzdielen sammelte. Ein letztes Mal hob sie den Kopf, stierte Hermann mit anklagendem Blick an, dann schlossen sich ihre Augen. Mit einem heftigen Stoß entfuhr ihr die Luft aus der Kehle, ihr Kopf sackte auf ihre Brust; sie rührte sich nicht mehr.

*************************************

Obgleich ich diese Textstelle selbst geschrieben haben und in- und auswendig kenne, kommen mir noch immer die Tränen, wenn ich sie lese. Vielleicht liegt es daran, dass sich diese Szene in etwa so wirklich zugetragen hat. Die Worte, die Buirmann und Christina Böffgens sprechen, habe ich aus der Originalquelle, Hermann Löhers Klageschrift Hochnötige Unterthanige Wemütige Klage Der Frommen Unschültigen, so gut wie wortwörtlich übernommen. Selbstverständlich sind sie hier ins Neuhochdeutsche übersetzt, aber ich versichere euch, dass sie auch in Löhers Worten, die seiner Erinnerung an die Geschehnisse des Jahres 1631 entspringen, nicht weniger erschütternd zu lesen sind.

Hermann Löher hat seine Klageschrift mit mehreren aufwendigen Holzstichen versehen lassen, um die Gräuel der Hexenverfolgung zu illustrieren. Einen solchen Stich gibt es auch zu Christina Böffgens Folter.

folter1_boeffgens

Über Kommentare, Fragen, erste Eindrücke zu diesem Textschnipsel würde ich mich wie immer sehr freuen.

Diese Artikel könnten dich ebenfalls interessieren:

Der Hexenschöffe – Fernab von Hebammen und Kräuterfrauen
Reihjungen, Mailehen, Schlutgehen
Der Rheinbacher Hexenturm – ein Rundgang
Vollständige Artikelreihe zum Making-of von Der Hexenschöffe

*************************************

Petra Schiers großer Schicksalsroman: Eine wahre Geschichte aus dunkler Zeit

Ganz Deutschland ist vom Hexenwahn ergriffen. Hermann Löher, Kaufmann und jüngster Schöffe am Rheinbacher Gericht, hat Angst um Frau und Kinder. Er glaubt nicht an Hexerei und die Schuld derer, die bereits den Flammen zum Opfer fielen. Eine gefährliche Einstellung in diesen Zeiten. Als die Verhaftungswelle auch auf Freunde übergreift, schweigt Löher nicht länger. Und schon bald beginnt für ihn und seine Frau ein Kampf gegen Mächte, die weit schlimmer sind als das, was man den Hexen vorwirft …

Buchvorschautext, Quelle: www.rowohlt.de

SU_978-3-499-26800-7_E9Der Hexenschöffe
Historischer Roman
Petra Schier
Rowohlt-Taschenbuch, ca. 450 Seiten
ISBN 978-3-499-26800-7
9.99 Euro
Erscheint im Oktober 2014

Bei Amazon.de vorbestellen

Teilen mit